"Die Acht Aspekte des Kostbaren Lehrers" - Padmasambhava in Kunst und Ritual im Himalaya

Katalogbeitrag (ungekürzte Fassung) zur Sonderausstellung im Museum für Asiatische Kunst Berlin , 28.11.2013

Ungekürzter Katalogbeitrag

von Dipl.Rest (FH) U.S. Griesser

Thangkas (Begriff thang ka tib.: „etwas, das zu rollen ist“) sind kompliziert aufgebaute dreidimensionale Objekte, traditionell aus einem mit opaken Leimfarben bemalten oder bestickten Stoff (Baumwolle, seltener auf Leinwand oder Seide), im Folgenden als Bildteil bezeichnet und einer kunstvoll ausgearbeiteten Gewebeeinfassung mit einem feinen Ober- und gröberen Untergewebe, Holzstreben als oberen und unteren Abschluss, zwei langen Bändern sowie einer oder mehrerer seidenen Abdeckungen bestehend. (1) Im Querschnitt rund ermöglicht die untere Strebe, die an den Enden häufig noch mit Zierknöpfen dekorativ geschmückt ist, das Aufrollen der Thangkas zur Bildinnenseite hin (Abb.1 und 2).

Abb. 1 und 2 Thangka Nr. VIII (Inv.Nr. I 5980) aus dem Berliner Set (Dorje Drolö)vor der Bearbeitung. Die linke Aufnahme zeigt das Thangka mit Museumskarton als Arbeitsunterlage geschlossen: Die seidene Abdeckung verdeckt den Bildteil vollständig. Bei der rechten Aufnahme ist die seidene Abdeckung auf traditionelle Weise drapiert. Die hierfür notwendige Kordel fehlt an diesem Thangka und wurde für die Aufnahme provisorisch ergänzt. Die Bänder verbleiben gewöhnlich vorne, können aber auch hinter dem Rollbild herabhängen. Zierknöpfe fehlen bei diesem Thangka, so dass am unteren Ende nur die Enden des Rundholzes zu sehen sind.

 

 

In Tibet und Bhutan gehört das Thangkamalen zu den insgesamt 13 Techniken (2) des Kunsthandwerks und wird in der Bhutan Arts and Crafts School in einem 6-Jahres-Studium vermittelt. (3) Zum Thangkamalen wird zumeist ein dünnes, dicht gewebtes Baumwollgewebe auf einen Holzrahmen gespannt und mit einer Kreide- oder Gipsleimmischung dünn grundiert und die Malseite des Bildteils dann stark poliert (4), um die Grundierung intensiv in das Gewebe einzarbeiten un um eine möglichst glatte Oberfläche zu erreichen. (5)

 

 

 

(1) Als Obergewebe wird häufig Seidendamast oder ein Brokatgewebe verwendet, ein einfacher Futterstoff aus Wolle oder einer Art Sackleinen o.ä. mit zumeist freiliegendem Bildteil dient als Untergewebe. Die seidene Abdeckung dient zum Schutz des Bildinhalts vor den Augen Uneingeweihter und als Schutz vor Fliegen und anderen Verschmutzungen. Im Bhutanischen wird die Gewebeeinfassung als Melong bezeichnet.

(2) http://www.apic.org.bt/bhutan-facts/arts-and-crafts/ gibt folgende 13 Techniken des Kunsthandwerks an: „Paintings, carving, sculpture, calligraphy, carpentry, gold, silver and black smithing, bamboo work, weaving and embroidery, pottery, masonry, paper and incense production.“ (Zugriff 12.09.2013).

(3) Institute for Zorig Chusum, Bhutan Arts and Crafts School, Thimphu, Bhutan im Mai 2013

(4) Mündliche Aussage eines Thangkamalers, Bhutan Traditional Thangka Shop near Jungzhi Paper Factory, Thimphu, Bhutan im Mai 2013

(5) Neuerdings werden vermehrt industriell hergestellte acrylhaltige Grundierungen und Farben verwendet.Traditionelle Materialien wie Leimgrundierungen und Leimfarben sind kostenintensiver und werden heutzutage für spezielle Auftragsarbeiten verwendet. Mündliche Aussage von Absolventen des Institute for Zorig Chusum, Bhutan Arts and Crafts School, Thimphu, Bhutan im Mai 2013

 

 

 

Die Vorzeichnung wird entsprechend der jeweiligen Maltradition zumeist mittels Lochpausen 1:1 aufgebracht. Malerische Freiheiten sind nur in dekorativen Elementen und in der Gestaltung von landschaftlichen Details erlaubt (Abb. 3 und 4). (6) Neuerdings werden solche Malereien immer öfter lose und nicht traditionell montiert angeboten.

 

 

Abb. 3 und 4   Mit ein und demselben Bildmotiv bemalte Bildteile von Thangkas stehen zum Verkauf

 

 

 

Als Narratives und sakrales Bildwerk des Himalaya-Raumes, sind Thangkas Bestandteil eines jeden Altars, in religiösen Zeremonien und dienen den Klöstern und den weit zerstreut siedelnden Menschen als Identifikations-, Informations- und Meditationsgrundlage zur Erlangung höherer Erkenntnisstufen. Auf ihnen werden Buddhas, Bodhisattvas, Schutzgottheiten, Sinnbilder und Mandalas dargestellt, die einzelne Aspekte erstrebenswerter Geistesqualitäten darstellen und die durch Geistes- und Achtsamkeitstraining entwickelt werden. Dazu gehören z.B. Liebe, Mitgefühl, Weisheit, Großzügigkeit, Heil- und Tatkraft, Altruismus, Kritikfähigkeit, die Auflösung von Egoismus und die Mitverantwortung für die Welt, in der wir leben.

 

Der Bildteil besitzt eine verdichtete, expressiv gesteigerte, symbolische Formensprache nach strengen formalen und farblichen Vorgaben großer tibetischer Meditationsmeister und Mystiker. Im Bild drückt sich die eigentliche buddhistische Lehre zum Beispiel als Verehrung der dargestellten Gottheit, als Widmung für eine kranke Person oder als Ausdruck des Wunsches nach körperlicher oder spiritueller Gesundheit aus. Auf diese Weise wird der sinnliche Gehalt der Darstellung auf eine geistige Ebene transportiert. Der Maler muss eine bestimmte Reihenfolge einhalten und nur der vom Meister Bestimmte oder Meister selbst darf am Ende des Malprozesses erst die Hautfarbe und Augen der Figuren auftragen, was einer Beseelung des Thangkas entspricht. Im Unterschied zum Zierrahmen der westlichen Tradition (mit Ausnahme mancher Bildeinrahmungen moderner Bildwerke) muss die Gewebeeinfassung ebenfalls als integraler Bestandteil des Kunstwerks gesehen werden. (7) Nicht umsonst wird das häufig eingearbeitete Gewebestück im unteren Teil des Obergewebes „Tür“ genannt. Das Obergewebe ist oft aus einzelnen, sehr edlen und aufwändig gearbeiteten Seidenstücken zusammengefügt (Abb. 03 und 04). Anhand seiner Ausprägung und seiner tradierten Proportionen lassen sich unterschiedliche Traditionen erkennen. Neben den stilistischen Unterschieden geben auch der spezifischen Aufbau und die Form der Stoffmontierung Auskunft über die Herkunft, die kulturelle Bedeutung und die zeitliche Entstehung eines Thangkas. (8) Die seidene Abdeckung und die beiden herabhängenden Bänder besitzen praktische und schmückende Funktionen. (9)  Erst mit dem Segnen des fertigen Thangkas durch einen Lama erhält das Thangka seine sakrale Funktion.

 

(6) Davon konnte sich die Autorin im Mai 2013 in dem zum Institute of Zorig Chusum gehörenden Geschäft anhand ein und desselben Bildthemas einiger der dort käuflich zu erwerbenden Endprodukte des Thangkamalstudiums überzeugen.

(7) Huntington, John C. in: Studies in Conservation, 15 (1970), The Iconography And Structure Of Mountings Of Tibetan Paintings, S.190-205

(8) Jackson, David & Janice.: Tibetan Thangka Painting Methods & Materials, Published by Serindia Publications, 1984

(9) Griesser, Ute, Thangkas – Rollbilder des tibetischen Buddhismus. Kulturelle Bedeutung und Möglichkeiten der Konservierung, in: VDR Beiträge Heft 10, 2002, S.201-203

Abb. 5 und 6 Detailaufnahmen der ursprünglichen Gewebeeinfassung eines Thangkas aus dem Berliner Set (Thangka Nr. VI, Inv.Nr. I 5976). Zu sehen ist der rechte Teil des unteren Abschlusses mit eingenähtem Rundholz und nur in der Untersicht erkennbarem roten Futterstoff. Bei dem blauen Gewebe handelt es sich um Seidendamast mit Drachenmotiv (chinesisch, Ming-Dynastie 1368-1644). Dem Wert entsprechend, wurde die Seide sehr sparsam eingesetzt, um etwas so Kostbares für nicht einsehbare Bereiche nicht zu vergeuden. Dabei werden auch kleinste Seidenteile wenn möglich entsprechend dem Verlauf des Musters eingesetzt, hier rechts als diagonal nach oben verlaufende Naht zu sehen. Bei dieser Montierung sind insgesamt 10 bis 11 Damastgewebestücke verarbeitet, die hauptsächlich eingenäht, seltener aufgeklebt sind.

Abb. 7, 8 Detailaufnahmen der Rückseite von Thangka Nr. VI (Inv.Nr. I 5976): Links ist ein aufgedrucktes und hell markiertes, schwer entzifferbares Siegel unter dem vermutlich originalen Webband zu sehen, das rechts mit Maßangaben abgebildet ist. Das Webband könnte ursprünglich in den oberen Ecken fixiert gewesen sein. 

 Abb. 9 und 10 Links: Tageslichtaufnahme des Siegelabdrucks von Thangka Nr. VI (Inv.Nr. I 5976) in Hängerichtung.

Rechts: Mit Bildbearbeitungsprogramm modifizierte Schwarzweiß-Aufnahme des Siegels.

 

Ein Thangka ist auf unterschiedliche Weise mit dem Erwerb von spirituellem Verdienst verbunden. Das Verdienst gilt dabei sowohl für den Maler als auch für den Auftraggeber. Als Gabe zu rituellen Zwecken für ein Kloster wird das Verdienst als noch höherwertiger eingestuft. Thangkas sind äußerst selten signiert, weil die Beziehung zwischen dem Auftraggeber und der Auftragsarbeit im Vordergrund steht. Die Verwendung edelster Pigmente wie Azurit, Malachit, Zinnober, feinst zermahlenen Perlen und Goldstaub für den Bildteil ist eine ebenso verdienstvolle Tat wie das Anfertigen oder In-Auftrag-Geben eines Thangkas. Die Neumalung kann als gleichwertig oder im Hinblick auf das Malen, als spirituelle Praxis und den damit verbundenen Erwerb rituellen Verdienstes sogar als höherwertig eingestuft werden als das Bewahren eines Originals. (10) Das gelebte Kulturgut im Herkunftsland erfährt im Unterschied zum künstlerischen Original des Westens eine andere Wertigkeit. Ausdruck dieser Wertigkeit spiegelt sich in der Behandlung der Außenfassade des Tempels einer historischen Tempelanlage in Tibet wieder (11): An der zentralen Wand ist im Bereich einer ca. 15 x 28 cm großen Fehlstelle die Originalbemalung aus dem 18. oder frühen 19.Jh. sichtbar, die vermutlich in den 60er/70er Jahren mit einfachen Mitteln übermalt wurde (Abb.11und 12).

Abb.11 und 12 Detailaufnahme und vergrößerter Ausschnitt einer überarbeiteten Originalbemalung einer Tempelaußenwand in Kham/Sichuan. Bei den hellbrauen Bereichen rechts handelt es sich um Fehlstellen der Erstbemalung mit sichtbarem Lehmverputz.

 

Die Fehlstelle gibt den Blick auf die gleiche Gottheit mit ausgestrecktem linken Arm und nach vorne geöffneter Hand in gering veränderter Position und Farbigkeit frei, augenscheinlich jedoch in besserer maltechnischer Qualität. Die Überarbeitung ist von einfacher Machart und birgt durch hohe Materialspannungen Gefahren für die Originalbemalung. (12) Sähe der Westen hier die Erhaltung der originalen Erstbemalung durch Abnahme der spannungsreichen Zweitbemalung vor, scheint diese Überarbeitung für die Tibeter aus dem Glauben festgeschriebener Alltag und damit in dieser Ausprägung gerechtfertigt zu sein. Wie oft begegnen uns Aussagen, dass rituelle Gegenstände nicht nur aus dem buddhistischen Kontext durch gebrauchs- und alterungsbedingte Beschädigungen ihre sakrale Funktion nicht mehr erfüllen und bestenfalls in einem Schrein eingemauert oder anderweitig verschwinden und durch neue ersetzt werden.(13;14) Auch können finanzielle Gründe und die allgemein schwierige Beschaffungsproblematik von Konservierungs- und Restaurierungsmaterialien eine Rolle spielen, die die Neuschaffung von Kunst- und Kulturgut anstelle der Erhaltung von Kultur- und Zeitzeugnissen begünstigen. Auf der anderen Seite erhalten eingeführte Thangkas hier oft westliche Verglasungen. Die Verwendung von zur Rahmung herangezogenen reaktiven Materialien und ungünstigen Klimaverhältnissen können zum beschleunigten Verfall der unsachgemäß präsentierten Objekte führen. (15) „Andere Länder, andere Sitten“.

 

Am Beispiel Bhutans, das ebenfalls mit westlicher Unterstützung ihre Kulturzeugnisse sammelt, dokumen­tiert, bewahrt und vermittelt (16), konnte sich die Verfasserin in einem Praxislehrgang für die dort tätigen bhutanischen Restauratoren überzeugen (17), dass es neben den Finanzhilfen, deren Bhutan und den angren­zenden Himalaystaaten bedarf, nicht mit einem bisher sicherlich gut gemeinten Überstülpen der vermeint­lich besseren, da vielleicht wissenschaftlich fundierteren und mit dem Bewahrungsgedanken von Kunst- und Kulturgut länger vertrauten westlichen Konservierungs- und Restaurierungsauffassungen getan ist. Als Beispiel müssen Konservierungsmaterialien gesehen werden, die vom Westen entwickelt und zur fach­gerechten und effizienten Anwendungen in ein für die jeweiligen Verhältnisse und individuellen Objektge­gebenheiten bestimmte Relation gebracht und in das für dieses Objekt passende Anwendungsprodukt über­führt werden müssen. (18) In Ermangelung von geeigenten Messinstrumenten können diese Materialien nicht für den jeweiligen Fall oder Bedarf passend zur Anwendung kommen, was fatale Folgen für das Objekt mit sich bringen kann.

Aus den unterschiedlichen Auffassungen und Gegebenheiten lässt sich die Frage ableiten, ob es adäquate Behandlungs- und Präsentationskonzepte für Kulturgüter anderen Ethnien im Herkunftsland und im Aufent­haltsland gibt, ohne Gefahr zu laufen, den kulturellen Kontext und die Bedeutungen aus den Augen zu verlieren. Aus den Begegnungen und Gesprächen, den besuchten Kulturstätten, sowie den Erfahrungen des Praxislehrgangs mit den zu bearbeitenden mehrere hundert Jahre alten Thangkas beantwortet die Verfas­serin die Frage mit „ja“, sofern es zu einem Zusammenwirken von nach aktuellsten wissenschaftlichen Her­angehensweisen und Notwendigkeiten ermittelten und speziell auf die jeweiligen landeseigenen, örtlichen und klimatischen Gegebenheiten abgestimmten Materialien und Methoden kommt. Sie nennt dies den „mittleren Weg“: Das Zusammenwirken der Auffassungen des Westens und der Herkunftsländer, sowie das umfassende Verstehen der einzelnen (Himalaya-)Kulturen mit deren Hinterlassenschaften kann die Ent­wicklung gemeinsamer Bewahrungsmodelle sowohl im Herkunfts- als auch im Aufenthaltsland voran­

treiben: Zum Einen erhalten zum Beispiel die Himalaya-Staaten Unterstützung und Anregung, aus sich heraus zu forschen, zu dokumentieren, zu bewahren und zu vermitteln. Auf der anderen Seite besteht für die westliche Nationen einer zunehmend globalisierten Welt Gelegenheit, über die bei Ihnen befindlichen Kulturzeugnisse anderer Ethnien mit interkultureller Kompetenz Lösungsansätze „über den eigenen Teller­rand hinaus“ in ihrer Arbeit einzubeziehen.(19)

Die anschließenden Bildbeispiele der für die Ausstellung teilrestaurierten Padmasambhavas -Thangkas geben dem Leser/der Leserinnen exemplarisch Einblicke als Ausdruck dieses Zusammenwirkens beider Richtlinien. (20) Der Einsatz eines nichtflüssigen Retuschiermediums stellt eine neue Lösung des „mittleren Wegs“ dar.

 

Schadensprozesse an Thangkas am Beispiel der neun Padmasmabhava-Thangkas und deren Behebung

Aus der Materialvielfalt, den unterschiedlichen Material- und Alterungsverhalten und dem kulturellen Gebrauch dieser sakralen Objekte ergeben sich besondere Problemstellungen bei der Konservierung und Restaurierung von Thangkas: Thangkas bestehen aus einem Zusammenwirken flexibler und starrer Materialien, aus deren konstruktivem Zusammenspiel und deren Handhabung Schäden resultieren. Werden sie bei Nichtgebrauch oder zu Transportzwecken üblich, beginnend von der Unterseite zur Bildseite hin eingerollt, kommt es unweigerlich zu Stauchungen des Bildgefüges, was zu Trägerdeformationen in Form von Wellen- oder Beulenbildungen bis hin zu Knickfaltenausprägungen, Sprungbildungen der Farb- und Grundierungsschichten, Bildschichtlockerungen und –verlusten, Farbdünnungen bis hin zum vollständigen Farbverlust durch Abrieb, sowie zu Rissen im Bildträger und strukturelle Schwächungen der Gewebeeinfassungen führt.

 

Die atmoshärischen Bedingungen und örtlichen Gegebenheiten in den Herkunftsländern begünstigen Verschmutzungen ( z.B. Ölflecken und Rußanhaftungen der Öllampen und andere Materialrückstände) und die Ausbildung von Licht-, Klima- und Fraßschäden (UV-Exposition, Temperatur- und Feuchtigkeitsgefälle, Wasserschäden durch Dachundichtigkeiten oder unsachgemäße Lagerung, mikrobieller Bewuchs, sowie Schäden durch Insekten und Nager). Eingriffe wie Substanzverluste durch Ab-/oder Heraustrennen aus der Gewebeeinfassung als Transporterleichterung bzw. zum Entledigen farblich unpassender, sperriger oder schadhafter Bereiche und unsachgemäß ausgeführte Reparaturen, Konservierungen und/oder Restaurierungen, sowie unsachgemäße Rahmungen und Präsentationen nach westlicher Ästhetik tun ihr Übriges.

 

An den Bildteilen der neun Padmasambhava-Thangkas treten in der Hauptsache Farbveränderungen, Wasserränder und Farbabplatzungen, sowie Farbbereibungen auf. Die Gewebeeinfassungen sind bis auf zwei neueren Datums. Bei früheren Konservierungs- und Restaurierungsmaßnahmen, wozu auch die Festigungsmaßnahmen der kompletten Bildteile gehören, wurden die Bildteile mit zwei Ausnahmen von den Stoffeinfassungen getrennt, um diese separat bearbeiten und sieben der neun Thangkas mit neuen Stoffeinfassungen ausstatten zu können. Finden sich entlang der Bildränder kleinste, mehr oder weniger geradlinig verlaufende Durchstoßungen in regelmäßigen Abständen, deutet dies auf einen veränderten Nahtverlauf und damit auf eine frühere Konservierung/Restaurierung hin. Im Zuge der Vorbereitung für diese Ausstellung wurden die Thangkas komplett belassen und im liegenden oder hängenden Zustand bearbeitet.

Farbveränderungen

Die Dunkelverfärbung der Malerei rührt nicht nur von Ruß- und Schmutzansammlungen her. (21) Letztere konnten mit einem für das Bildgefüge unschädlichen nasschemischen Verfahren reduziert werden. Die westliche Konservierungs- und Restaurierungswissenschaft möchte Verschmutzungen soweit entfernt wissen, wie diese weitere Schmutzanbindungen am betreffenden Objekt verursachen und die im Schmutz- und Ruß enthaltenen Bestandteile negative Schadensprozesse im Materialgefüge auslösen oder begünstigen kann. Gleichzeitig stellen atmosphärisch bedingte Farbveränderungen, die bis heute gern mit „Patina“ umschrieben werden und zu denen auch (Tiefen-)Verschmutzungen gerechnet werden müssen, ein wichtiges Authentizitätsmerkmal dar, das Alter und Funktion berücksichtigt. „Der mittlere Weg“ sieht eine für das Objekt gesichert schadfrei erreichte Verbesserung der Ablesbarkeit bei geeigneter Präsentation vor, vermeidet jedoch möglichst die auf die ursprüngliche Farbigkeit abzielende und oftmals das Objekt gefährdende Totalreinigung.(22)

 

Die recht opaken, nahezu weiß erscheinenden Ablagerungen (23) wie in den Details des Thangkas Inv.Nr. I 5977 zu sehen, führen zu einer Abdeckung des sehr differenziert mit dem Pinsel und Goldpuder erzeugten Gewanddekors, die durch die allgemeine Farbverdunkelung optisch noch auffälliger hervortritt (Abb. 18 auf nachfolgender Seite, Abb. 13, 14 und zum Vergleich ohne Blickfänge Abb. 15).Durch die optisch verfälschte Wiedergabe dieser Farbereiche, wird die Bildbetrachtung negativ beeinflusst. Die westliche Konservierungs- und Konservierungswissenschaft sieht die Rückführung dieser „Blickfänge“ in den ursprünglichen Zustand vor, was durch die streng tradierten Farbgebungen in Malereien erfahrungsgemäß auch in den Herkunfts­ländern geschieht (24)

(10) Bruce-Gardner, Robert in Steven M. Kossak, Jane Casey Singer, 1998: Geheime Visionen. Frühe Malerei aus Zentraltibet, Ausstellung im Museum Rietberg Zürich und im The Metropolitan Museum of Art, 06.10.1998 bis 16.05.1999, S.193-206

(11) Kloster der Gelug-Schule nahe Kandze, früher Provinz Kham, heute chinesische Provinz Sichuan

(12) Die Beobachtung basiert auf eigene Erfahrung, die die Verfasserin bei einem praktischen Arbeitseinsatz in Osttibet im Jahr 2002 gemacht hat. Bei dem Projekt der im Himalayaraum tätigen Hilfsorganisation Tibet Heritage Fund (THF) wurden u.a. fragile Wandmalereien im Inneren des Haupttempels der Klosteranlage konserviert und restauriert.

(13) Gesehen im Dumtse Lhakang, Paro, Bhutan am 10.05.2013: Gebetsmühlen der Kora wurden vor nicht allzu langer Zeit durch neue ersetzt. Die alten Gebetsmühlen liegen völlig ungeschützt aber noch in angemessenem Erhaltungszustand aufgestapelt in einer Mauernische.

(14) Swiss Guest House, Bumthang Valley, Bhutan am 04.05.2013: Gespräch mit dem schweizer Gastwirt und Käsehersteller Herrn Maurer, der seit 47 Jahren in Bhutan lebt. Seiner Aussage nach wurden Thangkas Mitte der 80er Jahre aus dem benachbarten Kloster entfernt. Die Menschen freuten sich auf die neuen Malereien. Die alten Thangkas wurden nie mehr gesehen, evtl. wie gebräuchlich verbrannt.

(15) Fehlendes Wissen, unsachgemäßer Gebrauch, tradierter Brauch und Gedankenlosigkeit können die Lebenszeit von Kunst- und Kulturgut zudem verkürzen.

(16) „Selbst stark zerstörte Thangkas sollen erhalten werden und bleiben, weil sie die Geschichte des Klosters, der buddhistischen Lehre repräsentieren und damit zum Identifikationsträger ihres Klosters/der Linie geworden sind, was durch ein neu gemaltes Thangka nicht erreicht werden kann.“ Dies ist sinngemäß das Ergebnis von Gesprächen mit zwei für die Thangkas verantwortlichen Mönchen im Throngsa Dzong, mit dem für die Thangkas verantwortlichen Mönch des privat organisierten Nyimapa-Klosters Gantey und einem Restaurator im Nationalmuseum in Paro. Die Interviews wurden von der Verfasserin mit Unterstützung des bhutanischen Reiseleiters als Vorbereitung für den zweiwöchigen Lehrgang im Mai 2013 in Zentral- und Westbhutan geführt.

(17) Auf Einladung des Direktors des Department of Culture and Chief Cultural Property Officer DCP führte die Autorin vom 13.-26.05.2013 im Department of Culture in Thimphu einen Lehrgang für sechs hiesige Amts- und Museumsrestauratoren durch. Die Zielsetzung lag im Austausch und in der interkulturellen Konzeptfindung von mehreren konservatorisch und restauratorisch zu bearbeitenden Thangkas. Ein Spendenprogramm mit Fortführung dieser Lehrgänge ist in Planung. Bhutan hat wie Tibet den Vajrayāna-Buddhismus als Staatsreligion erhoben. Als Entwicklungsland ist es ebenso auf Spenden angewiesen.

(18) Konservierungs- und Restaurierungsmaterialien werden zumeist aus in der chemischen Zusammensetzung bekannten Reinstoffen individuell selbst hergestellt. Handelsübliche Materialien, soweit erhältlich, weisen durch ihre Zusätze sehr oft ungünstige Alterungseigenschaften auf und bergen daher unvorhersehbare Gefahrenpotentiale für das mit diesen Materialien in Berührung kommende Kunst- und Kulturgut.

(19) Die Autorin regt zur Erreichung eines länderübergreifenden und interdisziplinären Austausches ein digitales Netzwerk für Thangkas und andere sakrale Objekte an. Vorgestellt im Forum on the Conservation of Thangkas, ICOM-CC 15th Triennial Conference, New Delhi, India, September 26, 2008: “Presenting, Handling and Treating Sacred Thangkas According to Western Standards and Respecting their Cultural Context – An Achievable Common Purpose?”

(20) Die Konservierungs- und Restaurierungsmaßnahmen an den neun Padmasambhava-Thangkas beschränken sich ausschließlich auf die bemalten Flächen, nicht auf die textilen Bereiche und die Montierungen zur Ausstellungspräsentation.

(21) Die Farbverdunkelung aller neun Thangkas kommt in der Hauptsache durch frühere Festigungsmaßnahmen zustande. Die Vergilbungstendenz des gealterten Fixativs, vermutlich auf Polyurethanharzbasis, führt zu einer Verbräunung der Farbflächen in Abhängigkeit von Schichtdicke und Oxidationsgrad des Harzes. Diese Farbveränderungen sollten bei der jetzigen Konservierung und Restaurierung unberücksichtigt bleiben. Wünschenswert wäre eine gesicherte Identifikation des Festigungsmaterials, um ggf. Methoden für dessen Entfernung entwickeln zu können.

(22) Bei der Totalreinigung wird der Bildteil von der Gewebeeinfassung getrennt, die Malerei mit der Bildseite nach oben auf eine saugfähige Unterlage gelegt und durch nasschemische Prozesse, zum Teil in Verbindung mit Unterdruck, von oben durch das Bildgefüge nach und nach, evtl. durch Austausch der saugenden Unterlegmaterialien, von Ruß und Schmutz befreit. Dieses Verfahren wird nach Kenntnissen der Autorin vereinzelt im Westen und im Himalaya-Raum praktiziert. Aufgrund der kaum zu kontrollierenden Auswirkungen durch Quell- und Schwindprozesse im Bildgefüge und des im Vergleich zum Alter und kulturellen Gebrauch unstimmigen Reinigungsergebnisses stehen diesem Verfahren auch die Absolventen des Praxislehrgangs im Department of Culture, Thimphu, Bhutan, bei den im Mai 2013 durchgeführten Tests und Befragungen nicht nur positiv gegenüber. Vielmehr nahmen die Absolventen gegenüber den Reinigungsergebnisse an einem stark verschmutzten und im Verlauf des Lehrgangs nach den Prinzipien des mittleren Wegs gereinigten Bildteil eines mehrere Jahrhunderte alten Thangkas, zunächst einen abwartende Haltung ein. Nach der farblichen Ergänzung der Fehlstellen und der optischen Harmonisierung dunkler Ränder waren alle Absolventen über das optische Ergebnis verblüfft. Sie äußerten sich positiv über die Anwendung des mittleren Wegs.

(23) Unter dem Stereomikroskop bei schwacher Vergrößerung amorph aussehendes, kleinteiliges, relativ locker auf der Farboberfläche anhaftendes Material.

(24) Soweit ausreichende finanzielle Mittel vorhanden sind. Mündliche Aussage von Absolventen des Praxislehrgangs im Department of Culture, Thimphu, Bhutan im Mai 2013

 

Abb. 13 - 15

Die Abbildungen links und in der Mitte ein vergrößerter Ausschnitt zeigen weißliche Materialrückstände, die auf bestimmten Farbbereichen der neun Thangkas auftraten und physikalisch-chemisch entfernt werden konnten. Rechts zeigt den Ausschnitt nach der Bearbeitung mit dem wieder sichtbaren Dekor des Untergewandes von Padma Gyelpo, einer königlichen Erscheinungsform von Guru Rinpoche (Thangka Nr. IV, Inv.Nr I 5978).

 

Ergänzung eines Auges einer dargestellten Nebenfigur

Ein weiteres Beispiel für das Zusammenspiel von westlichen Standards der Konservierungs- und Restaurierungswissenschaft und denen des Herkunftslandes ist am gleichen Thangkas der Neunerserie (Inv.Nr. I 5978) ablesbar, nämlich die Ergänzung eines Auges der kleinen mittleren Figur am unteren Rand der Malerei. Nach westlichem Standard könnte der im Gesamten gerade mal 5 x 3 cm messende Ausschnitt, der weit unterhalb der Hauptsichtachse des Betrachters liegt, in der Retusche unberücksichtigt bleiben. Das im Ansatz noch sichtbare rechte Auge (vom Betrachter aus gesehen) zur Bewahrung der Geschichtlichkeit – auch in der dauerhaften Nachvollziehbarkeit des Verlusts eines Auges – so belassen werden. Im Vajrana-Buddhismus führen erst die Augen zu einer Beseelung der dargestellten Figur(en). Ein nur noch rudimentär sichtbares Auge würde die Figur demzufolge entseelen und einer Kontemplation des Meditierenden entgegenstehen. Der Kompromiss aus beiden Standards sieht die Vervollständigung vor, gibt die nachträgliche Ergänzung des hier im Maßstab vergrößerten Ausschnitts jedoch auf Nahsicht Preis, um dem westlichen Richtlinie der Unterscheidbarkeit von Original und späterer Ergänzung Rechnung zu tragen (Abb. 16 und 17).

Abb. 16 und 17

Detailaufnahme der Nebenfigur unter der Zentralfigur, links vor und rechts nach der Retusche. Der Ausschnitt misst real ca. 5 x 3cm

(Thangka Nr. IV, Inv.Nr I 5978)

 

Behandlung von Wasserrändern, Farbverlusten, Farbbereibungen und „Patina“, ohne Bildteil und Gewebeeinfassung voeinander zu trennen

Abb. 18 und 19 Oberer Teil des Thangkas Nr. IV (Inv.Nr. I 5978) links vor und rechts nach der Konservierung und Teilrestaurierung.

 

 

Der Bildteil des Thangkas Nr. IV (Inv.Nr. I 5978) wies erhebliche Farbverluste und Wasserränder auf (Abb. 18). Die verschmutzte, außerst feuchtigkeitsempfindliche Malerei wird in direktem Kontakt mit wässrigen Flüssigkeiten angelöst, bei längerer Einwirkzeit komplett ausgewaschen. Wird zunächst das Bindemittel angelöst und weichen die Farb- und Grundierungsbestandteile bei fortlaufender Durchfeuchtung mehr und mehr auf, kommen auch die anhaftenden Verschmutzungen in Bewegung: Das verflüssigte Material wird durch die Saugfähigkeit des noch trockenen Bildgefüges weitertransportiert und an anderer Stelle gesammelt angelagert (Abb. 20). Es kommt zu dunklen Rändern, die erfahrungsgemäß weder vollständig noch für die betreffenden Stellen und angrenzenden Bereiche schadfrei zu entfernen sind. Ein optisches Harmonisieren mittels Retusche ist möglich, ohne den Schaden komplett unkenntlich zu machen. Die Wasserränder sind noch abzulesen. Damit ist die westliche Richtlinie erfüllt. Der Standard in Bhutan sieht die Verwendung desselben Farbmaterials zum Schließen dieser Fehlstellen und Dunkelverfärbungen durch gezielten Auftrag von Leimfarben entsprechend der Farbigkeit des umliegenden Originals der Malerei vor. Der Leim wird zumeist aus Knochen, Haut und Sehnenbestandteilen von Rindern oder Yaks (25) gewonnen und mit Farbmitteln mineralischer und pflanzlicher Herkunft oder aus künstlicher Produktion vermischt und mit Wasser verdünnt flüssig mit feinem Haarpinsel erwärmt und mindestens handwarm (26) aufgetragen. (27) Die Fehlstellen sind nach dem Retuschieren nicht mehr als solche erkennbar und somit mit bloßem Auge und ohne naturwissenschaftliche Hilfsmittel nicht mehr vom Original zu unterscheiden. Die Lichtstabilität der verwendeten Farbmittel ist nicht immer gewährleistet. Es werden auch handelsübliche Wasserfarben eingesetzt, wie sie für den Schulunterricht verwendet werden (28). Die Auffassung des Herkunftslandes besitzt demzufolge keinen Anspruch der Wiederentfernbarkeit dieser späteren restauratorischen Eingriffe. Bei dem Versuch der Wiederentfernung des Retuschiermediums könnte die Originalmalerei durch den notwenigen Einsatz von wässrigen Systemen beschädigt werden. (29) Die westliche Konservierungs- und Restaurierungswissenschaft setzt darauf, lichtstabile Retuschiersysteme einzusetzen und nach Möglichkeit eine Wiederentfernbarkeit solche Eingriffe anzustreben. Flüssige Bindemittelzusätze im Retuschiermedium scheiden durch die in der Realität nicht wieder vollständig rückgängig zu machenden Eingriffe nach Meinung der Autorin aus. (30) Der „mittlere Weg“ stellt konsequenterweise ein Retuschiermedium ohne Eintrag von flüssigem Binde- und Lösungsmittel dar – dieser Ansatz fand auch für die Retuschiermaßnahmen an den neun präsentierten Thangkas Anwendung. (31) Das Retuschiermedium wurde punktgenau dort aufgebracht, wo es benötigt wurde. (32) Das Material liegt nur oberflächlich auf, lässt sich dememtsprechend leicht wiederentfernen. Mit geringsten Mengen dieses Retuschiermaterials können dunkle Wasserränder entsprechend aufgehellt und feinste Nuancierung in der farblichen Abpassungen von beriebenen Bereichen und Abplatzungen ermöglicht werden. (Abb. 19 und zum direkten Vergleich Abb. 20 und 21). Am Beispiel der neun Padmassambhava-Thangkas wurde höchste Kontrollierbarkeit beim Retuschieren, eine verbesserte Ablesbarkeit und der Anspruch einer Unterscheidbarkeit von Original und späteter Ergänzung erreicht, ohne die Authentizität der mehrere Jahrhunderte alten Thangkas zu zerstören. Authentizität bedeutet die Wahrung als Identifikations-, Informations- und Meditationsobjekt, gleichzeitig aber auch die Thangkas als Zeitdokumente erfahrbar zu machen und halten. Und somit auf die vormals im alltäglichen Leben benutzten Bedeutungsträger der Himalaya-Kulturen aufmerksam zu machen.

Abb. 20 und 21 Thangka Nr. I (Inv.Nr. I 5977), Detail vom linken Bildrand mit

5 x 3 cm großem Ausschnitt eines Wasserrandes, links vor und rechts nach

der Retusche. Der Wasserrand bleibt in geringem Maße erkennbar.

 

(25) Schon seit Jahrzehnten wird nach Aussage der Absolventen des Praxislehrgangs im Department of Culture der Leim in Bhutan aus Rinderbestandteilen und nicht vom Yak wie in Tibet gebräuchlich gewonnen.

(26) Die Leimlösung würde abgekühlt gelieren und die Farbe nicht mehr vermalbar sein (Anmerkung der Verasserin)

(27) Nach Aussage der Absolventen des Praxislehrgangs im Department of Culture, sofern ausreichend finanzielle Mittel vorhanden.

(28) Camel Water Colour Tubes, produced by member of Arts and Creative Materials Institute, Boston, USA: Nach Aussage der Absolventen des Praxislehrgangs im Department of Culture als preisgünstiges Retuschiermedium verwendet.

(29) In der westlichen Konservierungs- und Restaurierungsethik wird jedoch genau dies - das schadfreie Wieder-rückgängig-machen Können von restauratorischen Eingriffen – gefordert. Gleichzeitig wird die Verwendung authentischer Materialien empfohlen, insbesonderen dann, wenn sie von besonderer Wertigkeit wie auf Thangkamalereien sind. Dies führt jedoch zum erwähnten Dilemma des nicht schadfreien Wiederentfernen Könnens des restauratorischen Eingriffs. Außerdem sind authentische Farb- und Bindemittel entsprechend dem Original häufig gar nicht mehr in der gewünschten Form erhältlich. Wäre die exakte Farbzusammensetzung entsprechend dem Original herstellbar, führen innere und äußere chemische und physikalische Prozesse und Verschmutzungen im Laufe der Zeit zwangsläufig zu einer farblich veränderten Farbschicht. Das dem ursprünglichen Erscheinungsbild der Farbe gleichende Farbmedium müsste durch Hinzufügen weiterer farbgebenden Bestandteile “künstlichen patiniert” werden, um als Retuschierfarbe für das Erreichung des gealterten Erscheinungsbildes der Thangkamalerei dienen zu können. Diese läuft dem Authentizitätsanspruch entgegen, weil die ursprüngliche Farbzusammensetzung verändert werden muss. Bisher bleibt der andere westliche Restaurierungsansatz. Dieser setzt auf synthetisch produzierte, künstlich mineralische und synthetische Farbmittel, die in stabilem Kunstharz angerieben als hochwertig lichtstabile Retuschierfarben angeboten werden. Diese sollen sich auch nach vielen Jahren mit schwachen organischen, nicht mit Wasser verdünnbaren und damit für die Leimfarbenmalereien kaum beeinflussende Lösungsmitteln wieder entfernen lassen.

(30) Wässrige Systeme, als auch Farbmedien, die sich mit schwachen und für das Objekt im Normalfall unschädlichen organischen Lösungsmittelzsätzen im synthetischen, alterungsstabilen Bindemittel vermalen ließen, dringen durch die große Saugfähigkeit des Untergrunds kaum kontrollierbar ins Gefüge und würden sich schadfrei nicht wieder vollständig entfernen lassen. Inwieweit die Anhaftung der Farbbestandteile des Retuschiermediums in die textile Faserstruktur des Bildträgers und das mehr oder weniger saugfähige und poröse Materialgefüge von Grundierung und Farbschicht durch Vorbehandlungen wie Festigung, Kittung und Isolierung der zu retuschierenden Flächen reduzieren oder ausschließen lässt, wurde wissenschaftlich noch nicht abschließend untersucht. Hinzu kommt der erheblich größere Zeitaufwand und die Gefahr des Abdeckens von originalen Bereichen und möglicher Materialspannungen.

(31) Eine Ausnahme ist das beschriebene ergänzte Auge einer Nebenfigur.

(32) Es wurde mittels Andruck angebracht. Das Bildgefüge muss dem punktuellen Druck standhalten können. Es können Glanzgradveränderungen auftreten.